Neurodivergenz Blog

Kindliche Prägung und Selbstbild

Die Bildung des Selbstbildes

So haben viele Frauen schon einen langen Leidensweg hinter sich, nicht selten geprägt von vielen Brüchen in ihrem Lebenslauf, Suchtproblematik, Angststörungen, Depression und anderen Leiden, bis sie endlich diagnostiziert werden. In meiner Arbeit in der Kita und auch als (Live In) Nanny habe ich beobachtet, wie die Erfahrungen und Resonanzen in den ersten Lebensmonaten und Jahren die grundlegende Entwicklung des neuronalen Selbst-Systems eines Kindes prägen. Diese Erfahrungen hinterlassen tiefe Spuren im Inneren des Kindes und beeinflussen das Selbstbild und das Selbstwertgefühl nachhaltig. Als Coach habe ich nicht nur eine Coachee bei mir in der Praxis begrüssen dürfen mit diesen speziellen Herausforderungen. Ich habe beobachtet, wie Kinder in dieser Zeit ein grundlegendes Gefühl ihrer Existenz und eine Ahnung von sich selbst entwickeln. In der Schweiz ist es aktuell so, dass viele Kinder ab dem 3. Monat in die Kita müssen, da beide Eltern oft arbeitstätig sind.

Resonanzerfahrungen in der Kindheit

In der Kita stehen oft nicht genug ausgebildetes, erfahrenes Personal zur Verfügung, dass jedem 15 Kleinkind die Resonanzerfahrung bietet, die es braucht. Es läuft leider oft frei nach dem Motto: Wer am lautesten schreit, dem wird Aufmerksamkeit zu Teil. Die leisen unter ihnen gehen oft unter und werden nur bemerkt, wenn es um die Grundbedürfnisse wie Essen, Wickeln, Schlafen geht, besonders in den ersten 12 Monaten. Dem Kind wird also ungewollt vermittelt: Du wirst erst bemerkt, wenn du laut wirst. Du bist unwichtig. Gerade z.B in Zürich lässt sich sehr gut beobachten, nicht erst seit gestern, was unsichere Bindungserfahrungen anrichten können: Es führt nicht selten in die Sucht. Auch das Gefühl ein Niemand zu sein, unwichtig spiegelt sich hier in der Gesellschaft nieder. Menschen werten sich durch Arbeit und Leistung auf, betäuben den Stress mit Alkohol und Substanzen. Nicht selten endet das im Burnout, Sucht, Depression und Angstzuständen. Sie langen dann wieder bei dem Gefühl: Ich bin unwichtig, ein Niemand. Durch die hohe Fluktuation an Mitarbeiter:innen in der Kita entstehen ausserdem bereits die ersten Trennungserfahrungen und stören das Bindungsmuster.

Negativer innerer Dialog entsteht als Konsequenz negativer Resonanz

Gerade, wenn die Kinder 5 Tage die Woche in der Kita betreut werden. Dabei sind konstante Bezugspersonen und Resonanz gerade in den ersten Lebensjahren fundamental für das spätere Leben. Durch die Resonanzerfahrungen, die sie in dieser sensiblen Phase machen, entsteht ein innerer Text, der ihr Selbstverständnis, ihr Selbstbild und ihre Sicht auf die Welt prägt. Was sich dann sehr klar zeigt, wenn sie sprechen lernen. Ihr äusserer Dialog den sie dann führen wird im Alter von 5 Jahren zu ihrer inneren Stimme. Die erlernten Muster und ihre Resonanzerfahrungen manifestieren sich als Glaubenssätze und können hinderlich, oder auch förderlich sein. Viele ND Frauen, die mir begegnet sind, ob beruflich oder privat hatten folgende Punkte gemeinsam: Ein negatives Selbstbild, wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten, Stärken waren ihnen kaum bewusst, Imposter Syndrom, da die Umwelt ihnen ständig ihre Unzulänglichkeiten vor Augen führte, in jeder Lebenslage.

Das Imposter-Syndrom, auch als Hochstapler-Syndrom bekannt, ist ein Phänomen, bei dem Menschen, trotz nachweisbaren Erfolgen, an ihren eigenen Fähigkeiten zweifeln und glauben, dass ihr Erfolg auf Glück oder Zufall zurückzuführen ist. Bei erwachsenen Frauen mit ADHS ist dieses Syndrom besonders präsent. Frauen mit ADHS haben aufgrund ihrer unterschiedlichen Denk- und Verarbeitungsweisen Schwierigkeiten, ihre eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Trotz Erfolgen neigen sie dazu, ihre Leistungen herunterzuspielen und Misserfolge überzubewerten. Der hohe Standard, den viele Menschen mit ADHS an sich selbst setzen, verstärkt diesen Effekt, indem er zu einem Perfektionismus führt, der schwer zu erfüllen ist. Gesellschaftliche Missverständnisse über ADHS könnten ebenfalls das Impostor-Syndrom verstärken. Stigmatisierung und Unverständnis über die neurologische Vielfalt führen dazu, dass Frauen mit ADHS ihre eigenen Fähigkeiten in Frage stellen. Die Unsicherheit darüber, wie andere ihre Diagnose und Herangehensweise wahrnehmen, trägt zur Verstärkung des Impostor-Syndroms bei.

Dekonstruktion der alten Wirklichkeit

Zusätzlich haben Frauen mit ADHS oft einzigartige Denkweisen und Kreativität, die möglicherweise nicht ausreichend anerkannt werden. In traditionellen Strukturen könnten ihre Erfolge abweichen und so Zweifel an der eigenen Kompetenz aufkommen lassen. Die Kombination von ADHS und Impostor-Syndrom kann zu einem Teufelskreis von Selbstzweifeln führen, der die psychische Belastung erhöht. Das alles führt nicht selten zu Misserfolgen im Leben und zu einer tiefen Unzufriedenheit, weil sie sich ständig mit anderen NT Frauen verglichen. Gerade, weil sie mit ihrem Verhalten oft auf mehr negative Resonanz treffen als ihre gleichaltrigen NT Gleichgesinnten, entsteht das Gefühl von: „Ich bin nicht gut wie ich bin. Mit mir stimmt etwas nicht!“

So erleichternd die Diagnose auf die Frauen wirkt, desto schwerer ist es sich durch die Gefühle wie Wut und Trauer zu arbeiten. Gerade, weil Wut für Frauen eine verpönte Emotion ist, die gesellschaftlich bestraft wird und uns von kleinauf abtrainiert wird. Nicht selten führt hinuntergeschluckte Wut zu chronischen Krankheiten. Auch steht Frau vor der Frage aller Fragen: «Was sind die realen Anteile meiner Persönlichkeit? Was die ADHS?» Die Dekonstruktion und das hinterfragen der alten Wirklichkeit ist eine immense Herausforderung, weil alles in Frage gestellt werden muss was bisher erlernt wurde. Aber es ist auch eine Chance für eine besser Zukunft, abgestimmt auf die ND Bedürfnisse.